Wie aus Brei Weihnachten wird

Eine Weihnachtsgeschichte von Susanna Sarasin

Schon wieder Geschrei. Mia hatte es langsam satt. Seit sie diese Klasse übernommen hatte – und das war nun bereits fast ein halbes Jahr her – verging kein Tag, an dem sich die Kinder nicht in die Haare gerieten. Es war auch in der Tat nicht einfach: verschiedenste Kulturen und soziale Schichten prallten hier aufeinander, zudem mehrere ausgeprägte Führerpersönlichkeiten. Irgendetwas musste geschehen, so konnte es nicht weiter gehen. Das Unterrichten machte in dieser Meute keinen Spass mehr, zehrte nur noch an den Nerven. Dass Weihnachten vor der Tür stand, machte das Ganze nicht einfacher, denn damit wurden die verschiedenen Religionen sichtbar. Ein Krippenspiel wagte Mia gar nicht erst zu inszenieren, bestimmt hätten verschiedene Kinder nicht mitmachen dürfen. Es war wirklich nicht einfach. Sie gab sich noch bis Ende Semester Zeit. Wenn ihre Bemühungen keine Früchte tragen würden, musste sie professionelle Hilfe anfordern. Als es läutete, stürmten die Kinder aufgebracht ins Klassenzimmer. Die verhärteten Fronten zeigten sich einmal mehr sehr deutlich.

Auf einmal wusste Mia, was sie machen wollte. Sie ging auf die Anschuldigungen der verschiedenen Schüler gar nicht ein, sondern begann kommentarlos, weisse Zeichenblätter auszuteilen. Langsam wurde es ruhiger und die Kinder erwarteten, dass sie nun erfahren würden, was sie zu tun hatten. Doch für einmal gab es keine genaue Anweisung.

„Nehmt das Papier und macht daraus, was ihr wollt. Alles ist erlaubt: schneiden, falten, malen. Ihr dürft das Blatt einfach nach Lust und Laune bearbeiten”, wies Mia die Kinder an.

So schwierig diese Klasse war, kreativ war sie in hohem Masse, das musste man ihr lassen. Eifrig wurde geschnitten, gemalt und geklebt. So entstanden die verschiedensten Kunstwerke: einige waren wunderschön, andere etwas ungenauer und plumper, je nach Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes. Als alle fertig waren, verteilte Mia den Schülern ein Stück Karton und auch hier lautete die Aufgabe: „Macht, was euch gefällt.” Wiederum entstanden die unterschiedlichsten Basteleien. Einige Kinder taten sich mit diesem Material schwerer, andere setzten die Festigkeit des Kartons geschickt um.

Nun würde sich zeigen, ob Mia den Zugang zu den teilweise verstockten Kinderseelen fand. Sie liess alle entstandenen Produkte auf die Pulte legen und forderte die Kinder auf, sie zu betrachten. Schon hörte man erste abwertende Kommentare. Da reagierte Mia mit scharfer Stimme: ”Ich habe euch nicht um eure Meinung gebeten!” klemmte sie die Kritiker ab. „Jedes hat etwas zustande gebracht. Ob es allen gefällt, war nicht die Frage.” Widerwillig wurden die vorlautesten Kinder ruhig.

„Schaut”, fuhr Mia fort, „ihr alle hattet das gleiche Material, einmal ein Blatt Papier, einmal ein Stück Karton. Jedes hat je nach Geschmack und Fingerfertigkeit etwas ganz Spezielles daraus gemacht. Aber eigentlich habt ihr noch immer Papier und Karton vor euch. Einige konnten mehr mit dem Papier anfangen, andere mehr mit dem Karton. Aber überall ist etwas entstanden. Morgen gehen wir einen Schritt weiter, wir machen selbst Papier.”

Den Kindern gefiel es, dass Rechnen und Sprache ausfallen sollten, dafür ein Tag mit Basteln anstand. So gingen am Ende alle gut gelaunt nach Hause und – oh Wunder – für einmal ohne Streit.

Am nächsten Tag kamen die Kinder erwartungsvoll in den Unterricht. Das anstehende Projekt liess Streitereien vergessen. Wie man wohl Papier machte? Einige hatten es von den Eltern erfahren, andere hatten keine Ahnung. Aber das machte nichts, denn nun gab es zu Basteln und das machte Spass.

Mia liess die Kinder Zeitungspapier in kleine Schnipsel zerreissen und in Wasser einlegen. Dann mussten die vielen mitgebrachten Mixer ihre Arbeit tun: das Gemisch wurde nun fein säuberlich zu einem dünnen Brei gemixt. Dann kam der grosse Moment: aus dieser grauen Masse sollte es Papier geben. Mia zeigte den Kindern ein Schöpfsieb und wagte den ersten Versuch: sie zog das feinmaschige Gitter durch den Brei, liess das Wasser ablaufen und schon war ein Blatt Papier geboren. Angespornt durch diesen gelungenen Versuch übten sich die Kinder nun selber, wobei sie auch die Tücken dieses Vorgangs erlebten. Einmal war zu viel Brei auf dem Sieb, dann gab es ein sehr dickes Papier. War jedoch zu wenig Brei darauf, wurde das Papier schwach und löcherig. Es galt, die ideale Menge zu finden und diese auch gut auf dem Sieb zu verteilen. So entstanden jede Menge verschiedener Blätter, die gepresst und getrocknet wurden. Auch der heutige Tag verlief recht friedlich. Das kreative Arbeiten tat den Kindern gut und beruhigte die Situation.

Zufrieden beendete Mia den Schultag und erklärte den Kindern, dass sie morgen das Papiermuseum besuchen würden. Dieses Vorhaben wurde jauchzend begrüsst.

Im Museum erlebten die Kinder, dass Papier aus verschiedenen Grundstoffen wie Holz, alten Lumpen und anderem entstehen konnte. Sie erfuhren, dass es schlussendlich viele kleine Fasern brauchte, die sich zu einer Masse vereinten. Je nach gewählten Fasern gab es andere Papiere. Auch edlere Papiere entstanden nach diesem Prinzip. Eigentlich war es immer das Gleiche.

„Habt ihr euch schon gefragt, weshalb wir all dies machen statt zu rechnen und zu lesen?” Mit dieser Frage schloss Mia den Tag ab und versprach, am nächsten Tag die Auflösung bekannt zu geben.

So begann auch der folgende Tag recht friedlich. Mia liess die Kinder einen Kreis bilden und alle Papiererzeugnisse in die Mitte stellen. Dann begann sie:

„Schaut euch alles an: so viele unterschiedliche Erzeugnisse. Aber eigentlich haben wir die letzten Tage erfahren, dass alle eins gemeinsam haben: sie entstanden aus einer flüssigen Masse von Wasser und Fasern. Aber ihr habt daraus etwas gestaltet, und so sehen wir nun die unterschiedlichsten Dinge. Schaut”, fuhr sie fort, „bei uns Menschen ist es das Gleiche: wir alle sind aus dem gleichen Grundmaterial gemacht. Dieses hat jedoch verschiedene Formen bekommen. Aber ihr alle seid leuchtende Seelenwesen, die unterschiedliche Gestalt angenommen haben. Nicht jedes Material eignet sich für das Gleiche, das habt ihr beim Papier und beim Karton erfahren. Deshalb müsst ihr herausfinden, wozu ihr euch besonders eignet. Daraus müsst ihr dann etwas machen, damit ein Kunstwerk entsteht. Dass ihr so verschiedene Dinge gebastelt habt, macht die Sache spannend. Jedes in sich ist besonders. Eure Aufgabe ist es, aus dem, was ihr seid, etwas zu formen. Ihr habt es in der Hand, etwas Gutes daraus zu machen. Es gab einige wichtige Personen in der Geschichte der Menschheit, die uns zu erklären versuchten, auf was wir achten müssen, wenn wir das Beste in uns entfalten wollen. Einer von ihnen hat bald Geburtstag.”

Und nun erzählte Mia von Jesus und seiner Botschaft. Dann forderte sie die Kinder auf zusammenzutragen, was einen guten Menschen ausmacht. Trotz der vielen kulturellen Unterschiede in der Klasse ergab sich schlussendlich ein recht homogenes Bild und erstaunt mussten die Kinder feststellen, dass sie eigentlich alle etwas Ähnliches anstrebten.

Die Idee, dass sie alle am Ende nur das Resultat von einem Brei aus Wasser und Fasern waren, fanden sie witzig und plötzlich begannen sie von selbst, aufkommende Streitereien damit zu beenden, indem sie einander klar machten, „du bist ja auch nur ein Brei.” Mit viel Freude erlebte Mia, wie sich das Klima in der Klasse zu entspannen begann, ja wie sich sogar neue Freundschaften bildeten, und zwar teilweise zwischen Kindern, die früher erbitterte Feinde gewesen waren. Buchstäblich wurde in diesen Tagen Weihnachten von den Kindern inszeniert, und zwar ohne vorgegebenes Krippenspiel. Die Kinder begannen, den verbindenden Funken in sich wahrzunehmen. Was anderes sollte Weihnachten denn sein als die jährlich wiederkehrende Erinnerung an die Botschaft von Jesus, dass wir alle durch die Seelenebene in Gott verbunden sind? Der entstandene Frieden in der Klasse war die schönste Umsetzung dieser Weihnachtsbotschaft, die Mia sich vorstellen konnte. Und das Schöne daran: die Kinder zeigten, dass diese Umsetzung wirklich möglich war, für sie und somit für alle anderen Menschen auch.

Endlich schaffte ich es: alle meine alten Weihnachtsgeschichten wurden hervorgeholt. Die ältesten
waren noch mit der Schreibmaschine getippt. Sie stehen dir nun in überarbeiteter Form zur
Verfügung. Du kannst sie am Bildschirm lesen, herunterladen oder bei mir gegen den
Selbstkostenpreis von Fr. 15.- pro Exemplar (Ringheft) plus Porto in gebundener Form beziehen.